Exkursionsbericht "Weniger ist mehr" am 12.10.2024

versprochen ist versprochen

Bild zu: Exkursionsbericht

Ja, wir hatten es an unserer ersten Exkursion der Regionalgruppe Pfalz am 29.07.2023 versprochen, das so wichtige Themenfeld Jagd für die ANW zu vertiefen, nachdem damals mit Herrn Ulf Hohmann (Wildbiologe Wildforschungsstelle Trippstadt) und Michael Grünfelder (Forstamtsleiter Forstamt Hinterweidenthal) Diskussionen darüber geführt wurden „dass Jagd nicht alles ist“.

Wir wollten uns im großen rheinland-pfälzischen Wildforschungsgebiet im Biosphärenreservat Pfälzerwald von Herrn Hohmann, Herrn Grünfelder und Herrn Bernd Herget (Forstrevierleiter) in diesem Gebiet mit eingeschränktem Waldbetretungsrecht führen lassen.
Wichtig war uns dabei eine Führung ohne Führung, d.h. es war uns wichtig, zum Erhalt eines mögichst objektiven Einblicks in die Waldentwicklungsdynamiken in der 2.400 ha großen Kernzone „Quellgebiet der Wieslauter“ zu bekommen, um Diskussionen begegnen zu können, die immer wieder sagen: „Das müsste man sich mal selbst ansehen, das kann man ja nicht glauben!“.
So wollten wir nach etwas mühevoller Absprache und Vereinbarung am Morgen des Exkursionstages querfeldein der Nase nach und ganz spontan von Lichtkegel zu Lichtkegel wandern, um unter verschiedenen Lichtverhältnissen die Wald-Wild-Wirkung zu diskutieren und zu bewerten.
Immer vor dem Hintergrund, was wir als Verband für Waldwirtschaft für uns in unsere Reviere mitnehmen können.
Im Wildforschungsgebiet werden die Auswirkungen einer seit 2013 andauernden Jagdruhe auf Rot- und Rehwild im Vergleich zu der Periode 2008 bis 2012 mit Bejagung dieser Wildarten beurteilt.

Die Ergebnisse sind im Exkursionsführer am Ende dieses Berichtes angefügt.

Kurz vor der Begrüßung stellten uns die Gastgeber vor Ihren geänderten Plan, der wiederum die Bewanderung eines Parcours beinhaltete, der durch dunkle Altholzpartien aus Buchen- und Eichenhallenwäldern lief, mit sehr interessanten Blocküberlagerungen, Felspartien und schön anzusehenden kleinen Störungen durch zusammengebrochene Einzelbäume die sich im Halbschatten wieder mit zarter Buchennaturverjüngung schlossen. Für die Diskussion von Dynamiken im Urwald eine sehr interessante Route, jedoch nicht zum Exkursionsthema passend.

Ulf Hohmann erläuterte die wissenschaftlich erhobenen Zahlen aus dem Exkursionsführer, welche den Schluss nahe legen ließen, dass sich durch Jagdruhe Wildschäden vermeiden lassen würden.
Nachweislich verringerten sich die Wildschäden ab der Jagdruhe. Das Aufnahmeverfahren orientierte sich dabei an den Vorgaben zur Erhebung der forstbehördlichen Stellungnahme mit Anpassungsvarianten, um einen Mindeststichprobenumfang zu bekommen.

Herr Grünfelder ergänzte und beschrieb die Situation außerhalb der Jagdruhezone im angrenzenden Staatswald mit normaler Bewirtschaftung und Bejagung. Eine Steigerung der Wildschäden hat dort seit der Jagdruhe in der Kernzone ebenfalls nicht stattgefunden.

Innerhalb der Kernzone läge der Rotwildbestand bei ca. 5 Stück/100 ha mit ungleicher Verteilung, außerhalb bei 2-3 Stück/100 ha, ebenfalls ungleich verteilt, wie dies bei dieser Wildart üblich ist.

Der Bestand ist stabil, es gibt kein Anwachsen der Bestände in oder außerhalb der Jagdruhezone. Dies haben verschiedene zeitliche und methodische Zählverfahren ergeben.
Für die Exkursionsteilnehmer und ANW-Interessierte mit teilweise umfangreicher Erfahrung in eigenen Revieren ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke.

Sollte es wirklich möglich sein, durch mehr Jagdruhe Schäden in umliegenden Flächen zu vermeiden bzw. zu verringern?

Ein Beispiel dazu sollten wir uns direkt ansehen:
Wir gingen nur 300 m weiter vom Parcours entfernt in einen Tageseinstand vom Rotwild hinein und staunten nicht schlecht ob der intensiven Beäsung der einstigen Wildwiese mit deren Dickungsrändern.
Laut Herrn Herget als Revierleiter schafft es das Rotwild sogar seit 2012, den Zustand beizubehalten, kein Zuwachsen der Wildwiese wäre zu bemerken!
Wäre das ein Zeichen, das mit der Megaherbivorentheorie zu diskutieren wäre?

Fazit bis zur dortigen Vesperpause aus Sicht unserer Gastgeber:

-    Wildschäden haben multikausale Zusammenhänge
-    Die Abschusshöhe ist nicht alles (Anm. unserer Diskussion: Ohne Abschusshöhe ist aber alles nichts)
-    Wildruhezonen vermindern Wildschäden
-    Wildruhezonen erhöhen nicht die Wildschäden im umliegenden Wirtschaftswald
-    Verbissflächen wie die Wildwiese mit dem umliegenden Einstand sind auch im Wirtschaftswald zu tolerieren, da sie dem großen Ganzen dienen

Aus Unzufriedenheit und dem Versprechen an unsere Exkursionsteilnehmer, einen objektiven Blick auf die Waldwachstumsdynamik in der Jagdruhezone zu bekommen, konnten wir an dieser Stelle (leider schon nach Ablauf unserer angepeilten Exkursionsdauer) mit den Gastgebern vereinbaren, dass wir noch mit denjenigen, die sich das körperlich zutrauten und noch Interesse hätten, einen eigenen spontanen Weg über 2 Stunden an die Autos zurücklaufen würden. Wir würden das Wieslautertal einmal queren, 200 Höhenmeter Abstieg ins Tal und dann 200 Höhenmeter wieder nach oben!

Leider hatten sich an dieser Stelle lediglich 9 Personen gemeldet, die diese verlängerte Exkursions-tour wählten.
Wir stiegen somit ins Tal ab und konnten inmitten des Hanges im Altholz einen Femel mit ca. 50 m Durchmesser ansteuern und dort uns schon einmal einen Eindruck der Wald-Wild-Wirkung machen – in Sekunden.
Das Bild ähnelte dem vor einer Stunde im Wildeinstand: Im Steilhang entstand durch umgefallene Altbuchen vor ca. 15 – 20 Jahren eine Blöße, auch hier konnte keine Walddynamik zum Schließen der Fläche festgestellt werden (2cm hoher Ginster, keine Brombeere, keine Himbeere, Binsen und Tollkirsche…) und radikal verbissene Buchen:


Schon hier wurde uns bewusst, dass wir genau dies mit der kompletten Gruppe hätten bewandern müssen. Ebenfalls sehr schade, dass alle Gastgeber keine Zeit mehr hatten, mit uns zu gehen.

Mit betretenen Mienen stiegen wir weiter ab bis zur Talsohle. Hier direkt der nächste Eindruck in einer Belichtungsfläche neben dem Hauptweg:


Hier vielleicht ein zaghafter Versuch, mit der Kraft der Natur (hier die Kraft des Buchenoptimums), Freiflächen dauerhaft wieder zu bewalden. Alles nur eine Frage der Zeit.

Wir machten uns danach direkt an den Aufstieg, nach weiteren 200m die nächste Belichtungsfläche, auch hier das gleiche Bild. Diese Fläche wurde vor ca. 10 Jahren im Zuge einer Waldentwicklungsmaßnahme in der Kernzone entdouglasiert.

Von der Vegetation her das gleiche Bild einer Devastierung: Kaum grüne Bodenflora, einzelne verbissene Weißtannen (sehr viele kleine sogar), keine Waldentwicklung erkennbar. Birken werden zu Formen gefressen, die eine Artbestimmung erschwert:

Nicht zu vergessen: Die Fichte verjüngt sich, wenn auch stark beäst.

Nächste Fläche: Eine ca. 1,- -2 ha große ehemalige Douglasienfläche, die in Streifen abgetrieben wurde, der letzte vor ca. 7 Jahren:

7-12 Jahre Waldentwicklung: Gras, Tollkirsche, einzelne astige Buchen. Da blieb uns der Mund offen stehen. Brombeere und Himbeere stehen im Gras in 1-2 cm Höhen, schaffen es nicht, sich zu entwickeln.

Eine Fläche querten wir noch beim Aufstieg, die ebenfalls das gleiche Bild zeigte:
Vergrasung mit Fingerhut und verbissener Fichte.

In mehreren Verschnaufpausen und an den Autos wieder angekommen diskutierten wir in diesem kleinen Kreise das Gesehene und versuchten es in den Kontext der Informationen vom Vormittag zu bringen.


Es fiel uns sichtlich schwer, die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus diesem Wildforschungsgebiet zu den gleichen Folgerungen wie oben beschrieben führen zu lassen.

Wir selbst kamen mehr zu diesen Erkenntnissen:

-    Die Lebensraumkapazität beim Rotwild scheint erreicht. Es frisst alles was es bekommen kann, sucht jede Belichtungsinsel und sämtliche Bodenvegetationsflächen auf, um sich zu ernähren. Diese Flächen sind dermaßen verarmt durch Verbiss und durch die Verdrängung der meisten Arten der vorkommenden Waldgesellschaft, dass Hunger im Sommer und im Winter ohne Mast zu vermuten ist. 
-    Die Annahme, dass Wildruhezonen Wildschäden verringern, konnte überhaupt nicht bestätigt werden: Alle Flächen waren devastiert, nicht nur innerhalb der Rotwildeinstände wie zuvor besichtigt. Verbiss ist maximal, intensiver konnten wir uns keine Flächen vorstellen, auch im Vergleich zu anderen Extrembeispielen aus anderen Landesteilen nicht. Ausnahme: Frische Schälschäden haben wir keine gefunden, hier könnte Ruhe zu weniger Schäle führen.
-    Multikausale Konzepte bei der Jagd in Bezug zu Wildschäden sind nur dann zu sehen, wenn die Jagd ihre Ziele verfehlt: Sobald Jagd zur Erlegung führt, wirkt sie unmittelbar, verfehlt sie ihr Ziel, sind Schäden sicher höher als ohne Bejagung. 
-    Das Verbissgutachten ist sicher von der Methodik her absolut ungeeignet, um diese gesehenen Bilder mit den Ergebnissen aus diesen Untersuchungen überein zu bekommen. Hier besteht dringend Nachsteuerungsbedarf, v.a. im Hinblick auf die Aufnahme naturschutzfachli-cher Parameter, v.a. in der krautigen Vegetation (Weisergatter stehen wohl nicht in der Ruhezone?)
-    Ein solcher intensiver Verbiss führt durch Artenverarmung und Störung der Nährstoffkreisläufe im Boden zu Bodenverarmung und damit zur Schädigung des Waldökosystems im Ganzen.

Somit ist Jagd nicht alles, aber ohne (wirkende) Jagd ist alles nichts.
Das war unser Fazit.

Nachdenklich stimmt uns, dass es zum Einen augenscheinlich nicht gewollt gewesen war, unsere abgesprochene freie Route mit allen gemeinsam zu laufen.
Ebenso nachdenklich stimmt uns die Aussage aus Sicht des Forstamtes, dass die jagdlichen Möglichkeiten alle ausgeschöpft wären und die Weißtanne und die Eiche in der Naturverjüngung ohne Schutz nicht denkbar wären. Multikausale Zusammenhänge scheinen die Lage zu verkomplizieren.

Für uns hatte es den Anschein, dass der Vergleich der Situation innerhalb der Ruhezone zu den Flächen außerhalb nicht passt. Dann müsst es ja in den Flächen außerhalb ja mindestens genauso schlecht aussehen, was die Waldentwicklung angeht.

Um dies nochmal etwas zu verifizieren, fuhr eine nochmal kleinere Gruppe an den Nordrand der Wildruhezone und lief ca. 1,5 km Luftlinie in den angrenzenden staatlichen Regiejagdbetrieb des Forstamtes hinein um sich ein Bild zu machen.

Leider konnte auch hier keine dynamische und naturnahe Entwicklung von Waldgesellschaften am Boden bei entsprechenden Belichtung gefunden werden.

Die Stimmung fiel auf einen Tiefstpunkt, als wir ein kleines Seitental entlangliefen und Bilder sahen, die uns die Sprache verschlugen (Auszug aus versch. Flächen an einem Berg):



Nun möchte ich den Exkursionsbericht beenden.
Ich möchte mich bedanken bei den Organisatoren und bei unseren Gastgebern.
Im Namen aller Exkursionsteilnehmer.
Ich möchte einen gelungenen Generationenwechsel wünschen, im Forstamt, der Revierleitung, im Wildforschungsgebiet und im angrenzenden Staatswald.
In ganz Rheinland-Pfalz.

Ich möchte zum Nachdenken bitten, hartnäckig und höflich:
-    Können wir uns eine solche Regiejagd leisten ?
-    Brauchen wir nicht mehr Kommunikation mit den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen in (!!!) der Fläche? In Wildforschungsgebieten wie im öffentlichen Wirtschaftswald?
Lasst uns gesund streiten. Wir wachsen nur an Selbstkritik, nicht am Eigenlob.
Adaptieren wir aus allem Gesehenen immer das Beste – dann entwickelt sich der Betrieb, der uns anvertraut ist, immer in die Richtung der Verbesserung. 
Ständig. 
Zum Wohle des Waldes und damit zum Wohle von uns allen.


Der Vorstand der Landesgruppe Rheinland-Pfalz