Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz Forschungsbereich 5.3 (Dr. Ulf Hohmann):
Sehr geehrte Damen und Herren der ANW,
wir möchten uns für die Gelegenheit bedanken, auf Ihren Exkursionsbericht zu reagieren und unsere Antwort allen Mitgliedern zugänglich zu machen. Nach der Veröffentlichung unserer Stellungnahme sind wir gerne bereit, den Dialog fortzusetzen.
Es ist uns ein besonderes Anliegen, hervorzuheben, dass wir im Rahmen der am 12. Oktober 2024 gemeinsam begangenen Waldbereiche einen umfassenden und objektiven Einblick in die Situation der jagdberuhigten Kernzone „Quellgebiet der Wieslauter“ im Biosphärenreservat Pfälzerwald ermöglichen wollten. Dabei haben wir sowohl offene Einstandsflächen mit örtlich hoher Verbissbelastung als auch Bereiche mit sich schließender Waldverjüngung besucht. Wir sind der Überzeugung, dass wir aus solchen „Nullflächen“ wertvolle Erkenntnisse für unsere Wirtschaftswälder gewinnen können. Dies stellt ein spannendes Studienobjekt dar, insbesondere für die ANW, die den Wald naturgemäß bewirtschaften und bejagen möchte. Bereiche, in denen der Mensch keinen unmittelbaren Einfluss auf die Naturräume nimmt, sind heutzutage selten. Nationalparke und, unter bestimmten Umständen, auch die Kernzonen der Biosphärenreservate oder Großschutzgebiete streben an, Naturvorgänge und Wildbestände auf Landschaftsebene wieder zuzulassen, ohne Steuerung und aktives Handeln. Die besuchte Kernzone ist ein solcher Bereich, in dem eine populationsökologische Eigendynamik des Wildes und der Wald-Wild-Interaktionen ermöglicht werden soll. Seit 2013, also seit über 11 Jahren, wird im 2.400 Hektar großen „Quellgebiet der Wieslauter“ kein Reh- und Rotwild mehr bejagt.
Der 12. Oktober sollte Einblicke in eine der größten nicht bewirtschafteten Waldflächen von Rheinland-Pfalz und vermutlich sogar Deutschlands bieten, für die wir über eine 17-jährige Messreihe verfügen. Diese Messreihe begann somit bereits Jahre vor der Jagdruhe und bietet einen für Deutschland einzigartigen Erfahrungsschatz. In diesem Zusammenhang ist es eigentlich ein positives Zeichen, dass einige Teilnehmer der ANW-Exkursion mit „gewöhnungsbedürftigen“ Gedanken konfrontiert wurden. Dennoch scheint die Exkursion bei einigen Anwesenden einen gewissen Missmut hinterlassen zu haben, wie der unüberhörbare Tenor im Exkursionsbericht andeutet. Uns war bewusst, dass ein Tag in einer Jagdruhezone mit Vertretern eines Vereins, für den „ohne wirkungsvolle Jagd alles nichts“ zu sein scheint, nicht spannungsfrei verlaufen würde.
Eine zentrale Erkenntnis des Tages war, dass der Einfluss der Bejagung des herbivoren Schalenwildes auf den Wald in diesem Naturraum überschätzt wurde. Weder reagierte das Wild bisher großräumig mit veränderten Verteilungsmustern auf die Jagdruhe, noch änderten sich die Wilddichten. Dies wurde insbesondere für das Rotwild durch präzise
Losungs-Genotypisierungsverfahren in den Jahren 2010, 2017 und 2023 belegt. Dennoch reagierte das Wild offenbar kleinräumig. Attraktive Standorte, die Sicherheit und Äsung bieten, werden kontinuierlich genutzt, während andere Bereiche verwaisen, was zu einer rückläufigen Verbissbelastung über die gesamte Fläche führt. Die während der gemeinsamen Exkursion und danach auf der „Extratour“ angetroffenen offenen Bereiche stehen daher nicht im Widerspruch zu diesem Befund. Wir haben während der Exkursion betont, dass in ungestörten Flächen die Ungleichverteilung des Wildes möglicherweise ausgeprägter ist.
Im ANW-Bericht wird ferner behauptet, dass nur Jagd, die zur Erlegung führe, unmittelbare Wirkung zeige. Diese Sichtweise erscheint uns jedoch zu vereinfacht. Die jährlichen Wildschadensaufnahmen auf den 7.500 Hektar bejagter Wirtschaftswaldfläche, die die Kernzone umgeben und die wir seit 17 Jahren untersuchen, belegen, dass die einst erhöhten Schälschäden stetig auf ein waldbaulich unproblematisches Niveau gesunken sind, und das bei unveränderten Erlegungszahlen und Wilddichten. Eine störungsärmere und effizientere Rotwildbejagung kann offenbar mehr als nur das Erlegen von Tieren. Ein zu einseitiges Betrachten von Abschusszahlen kann sogar Wildschäden provozieren.
Die Tatsache, dass einige Exkursionsteilnehmer den Rückgang von Verbiss und Schäle nicht mit den beobachteten Waldbildern in Einklang bringen können, könnte auf das für einige ungewohnte Phänomen der extremen Ungleichverteilung des Rotwildes in einem jagdlich beruhigten Prozessschutzgebiet zurückzuführen sein. Im ANW-Bericht wird zudem festgestellt, dass naturschutzfachliche Parameter bisher zu wenig Beachtung gefunden haben. Dem stimmen wir zu. Es ist jedoch anzumerken, dass das Phänomen der Ungleichverteilung und die damit verbundene lokale Offenhaltung von Flächen durch Wild aus naturschutzfachlicher Sicht positiv zu bewerten sind, da sie zur Erhöhung der Biodiversität in diesem Gebiet beitragen können. Zusätzliche Untersuchungen sind bereits in Planung. Eine Schädigung des umfangreichen Waldökosystems durch die häufig kleinen Freiflächen ist nicht zu erwarten. Ganz im Gegenteil: In den letzten Jahren hat sich beispielsweise der Wald- oder Schwarzstorch wieder im Pfälzerwald angesiedelt und vermutlich nicht zufällig mitten in der großenKernzone.
Mit freundlichen Grüßen
Ulf Hohmann